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UN-Mission UNMISS im Südsudan: die nordrhein-westfälische Polizistin Anne Dicks im Gespräch mit lokalen Polizeikräften
Auf Afrika vorbereiten
Afghanistan, Südsudan, Griechenland, Italien: Hauptkommissarin Anne Dicks war in internationalen Polizeimissionen und bei verschiedenen Frontex-Einsätzen. Jetzt trainiert sie Peacekeeper aus aller Welt.
Streife-Redaktion

Wie ein bewaffneter Konflikt fühlte sich das gar nicht an, als Polizeihauptkommissarin Anne Dicks vor sechs Jahren nach Juba im Südsudan ging. Ein Land, in dem mithilfe einer Friedensmission rechtsstaatliche Strukturen aufgebaut und das damit auch im Kampf gegen Rebellen-Milizen unterstützt werden sollte. „Liebe Grüße aus Afrika“, schrieb sie damals, mit 35, und hängte ein Foto an, das sie lachend mit über 20 afrikanischen Polizistinnen und Polizisten zeigt, die sie in einem Friedenscamp der Vereinten Nationen ausbildete. „Mir gefällt es sehr gut“, schrieb sie dazu. Und: „Ich fühle mich total wohl.“

Wie brüchig der Frieden in Afrika sein kann, wie gefährdet so eine Friedensmission, erlebte die Beamtin aus dem Münsterland aber nur fünf Monate später: Mörsergranaten schlugen in das Camp ein, überall knatterten Maschinengewehre. Die Bundesregierung entschied, alle deutschen Polizistinnen und Polizisten so schnell wie möglich zu evakuieren. Das war das vorübergehende Ende der UN-Aufgabe für Anne Dicks. Alles, was sie mitgebracht hatte, blieb zurück: ihre persönlichen Sachen, ihre Kleidung.

Jenseits von Afrika, im Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten in Brühl: Im Dezernat für Auslandsverwendungen schaut Dicks heute zurück auf eine Mission, die ein Abenteuer war – ein gefährliches, wie sich zeigte, aber auch ein sinnstiftendes. „Ich konnte helfen“, sagt sie.

Im Auftrag der UN-Mission UNMISS hatte sie afrikanische Kolleginnen und Kollegen für das Thema sexuelle Gewalt sensibilisiert. Wie können sie zum Beispiel Frauen, Männern und Kindern helfen, die Schutz vor gewalttätigen Familienangehörigen suchen oder vor Familienpatriarchen, die sie in Ehen zwingen wollen. Oder wie können sie andere Opfer schützen, die Hilfe brauchen? Keine leichte Aufgabe, erst recht nicht in Afrika, wo Brauchtum und Religion oft noch über geltendes Recht gestellt werden. Wie also nimmt man eine Anzeige auf, wenn Männer, Frauen oder Kinder missbraucht wurden? Wie spricht man sie an? Dicks erklärte den einheimischen Kolleginnen und Kollegen, dass es wichtig ist, einfühlsam auf die Lage der Opfer einzugehen und eine medizinische Versorgung zu vermitteln. Und nicht zuletzt: die Straftat auch aufzuklären.

Erste Erfahrungen im Bereich „Gender Based Violence“ hatte sie bereits bei ihrer ersten Auslandsmission 2013 in Afghanistan gesammelt, wo sie im Gleichstellungsdezernat der Polizeiakademie arbeitete und unter anderem auch ein Frauenhaus betreute. „In Krisenländern sind schon kleine Schritte Fortschritte“, sagt Dicks, die nach ihrer Rückkehr aus dem Südsudan als Trainerin im Dezernat 13 startete. In Afrika setzen heute Kolleginnen und Kollegen aus Finnland fort, was sie begonnen hat. Als Grundlage dient immer noch das Trainingskonzept, das das Team entwickelt hat.

In Brühl bereitet sie Polizistinnen und Polizisten aus dem In- und Ausland auf Friedensmissionen vor. Inzwischen gehört Dicks zu dem Team, das seit 2016 die standardisierten Fortbildungsmaterialien für UN-Auslandseinsätze überarbeitet und insgesamt acht Trainingspakete erstellt hat. Der Schwerpunkt liegt auf den Themen bürgernahe Polizei („Community Oriented Policing“) und Schutz von Kindern („Child Protection“).

Wie lässt sich Gewalt eindämmen? Wie kann man Konflikte verhindern? Wie kann man die Sicherheit von Menschen und Einrichtungen gewährleisten? Das lernen seit 2017 jedes Jahr rund 500 Peacekeeper, die die Trainingsprogramme in Brühl durchlaufen. Hier trainieren deutsche und ausländische Polizistinnen und Polizisten gemeinsam. Die Konzepte aus dem Rheinland erfahren weltweit Beachtung im Training der UN für Friedensmissionen. In den kommenden acht Jahren sollen so weltweit insgesamt 700.000 Peacekeeper für Auslandsmissionen in Krisengebieten fit gemacht werden.

Im zweiwöchigen Basis-Kurs gehen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf Reisen und besuchen das fiktive Entwicklungsland Carana, in dem die Lage unübersichtlich ist, weil verschiedene Konflikte gären. Hier lernen die Polizistinnen und Polizisten Dinge wie Gesprächsführung und wie sie auf kulturelle Besonderheiten eingehen. Ein wichtiges Thema: „Den Menschen nahezubringen, dass die Polizei kein Feind, sondern tatsächlich ein Freund und Helfer sein kann“, sagt Dicks. „In vielen Entwicklungsländern haben die Menschen andere Erfahrungen mit der Polizei gemacht, sie müssen erst einmal ihre Angst und ihre Vorbehalte abbauen.“

Vor jedem Einsatz gibt es Trainings, die speziell auf das Land zugeschnitten sind, in das die Einsatzkräfte gehen sollen. Nordrhein-Westfalen betreut die Missionen in Georgien, im Kosovo, in Mali, in Niger und im Sudan. Spezialisten des Auswärtigen Amtes, vom Militärischen Abschirmdienst der Bundeswehr oder vom Bundesnachrichtendienst klären über die Lage in diesen Ländern auf. Eines der Trainings: die Evakuierung einer Polizeistation. Oder Outdoor-Orientierung: Wie finde ich mich in der Landschaft zurecht, wie funktioniert ein Kompass oder das Funkgerät, mit dem ich Verbindung zu den Kollegen halte?

Anne Dicks’ Kollege Philipp Bovensiepen (40), Polizeioberrat mit Erfahrung im Ramallah-Einsatz in Palästina, hat maßgeblich die Trainingspakete mit entwickelt: „Indem wir an den Standards mitarbeiten, möchten wir auch Einfluss auf die weltweite Fortbildung der Peacekeeper nehmen.“ Der gelernte Jurist kennt die Gefahren solcher Einsätze in fremden Ländern, weiß, dass die Wirklichkeit oft hinter dem Anspruch zurückbleibt. So zum Beispiel auch im Zentralen Trainingsinstitut in Jericho, das vor zehn Jahren mit internationalen Geldern gebaut wurde. In den klimatisierten Häusern mit modernen Trainingsräumen sollen eigentlich eigentlich Polizistinnen und Polizisten ausgebildet werden. „Doch überall herrscht gähnende Leere“, berichtet Bovensiepen und beklagt: „Viele Missionen leiden darunter, dass zwar eine Infrastruktur aufgebaut wird, aber dann nichts weitergeht.“

Also hat er eine Analyse erstellt, auf deren Grundlage jetzt sein Nachfolger weiterarbeiten kann. Für die Mission EUPOL COPPS in Palästina heißt das: Die Trainingspläne, die es bisher nur auf Papier gibt, müssen endlich umgesetzt werden. Also: Streifenbeamtinnen und Streifenbeamte regelmäßig fortgebildet und Rekrutinnen und Rekruten mindestens sechs Monate geschult werden. Bovensiepen ist sicher, dass die Trainingspakete aus Brühl „die Kolleginnen und Kollegen sehr gut auf die Herausforderungen vor Ort vorbereiten“.

Anne Dicks hat es zwischenzeitlich selbst noch zweimal ins Ausland gezogen: Sie nahm an Frontex-Einsätzen in Griechenland und Sizilien teil, der Grenzschutzmission an den EU-Außengrenzen. Zusätzliche Erfahrungen, die sie mit den Kolleginnen und Kollegen in Brühl teilen kann. Denn hier gibt es auch Nachbereitungen von Frontex-Einsätzen. „Die psychische Belastung angesichts des Leids ist enorm. Es ist wichtig, dass die Kolleginnen und Kollegen über ihre Erfahrungen sprechen können.“ Dicks selbst ist aber schon wieder auf dem Sprung: Spätestens im Sommer soll es wieder ins Ausland gehen. Wohin, das weiß sie noch nicht.

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